Ansprache des Waschlappens an die Klasse 7c. 21.5.1999, 10.50 MEZ:
 

"Einen wunderschönen guten Morgen, liebe Kinder!
Zuerst möchte ich mich recht herzlich dafür bedanken, dass ich heute bei euch sein darf.
Ich werdet euch sicher fragen, warum ihr heute einen Waschlappen zu Besuch habt. Nun ja, wie ihr euch sicherlich denken könnt, bin kein gewöhnlicher Waschlappen. Ich habe schon viel erlebt.
Alles begann vor auf den Tag genau dreizehn Jahren. Damals wurde ich in einer Fabrik in China geboren, denn in China ist es billiger kleine Waschlappen zur Welt zu bringen. Von dort aus bin ich dann mit einem großen Dampfer nach Hamburg gebracht worden, von wo aus ich mit einem ganz großen LKW zuerst nach Ludwigshafen und dann mit einem etwas kleineren nach Schifferstadt kam. Dort lag ich dann ein paar Wochen in einem Regal im Handelshof herum und wartete gelangweilt endlich mitgenommen zu werden. Dann war es endlich soweit, ich wurde gekauft!
Ich war ganz unruhig, denn ich wusste ja nicht was da auf mich zu kam. Voller Neugier schielte ich aus der Einkaufstüte und sah, wie mein Käufer für mich bezahlte, DM 2.50 waren es genau. (Etwas wenig, wie ich meine)
Nach ein paar Minuten auf dem Gepäckträger eines quietschenden Fahrrades kamen wir dann an mein neues Zuhause. Ich war ziemlich glücklich endlich aus diesem Regal herauszukommen und mal etwas anderes zu sehen. Als ich aus der Tasche genommen wurde, schaute ich mich nach allen Richtungen um und sah eine Menge Dinge, die ich gar nicht kannte. Ich hätte mich gerne länger damit beschäftigt, mein Besitzer gab mir aber keine Chance. Er riss mich förmlich aus der Tasche und hängte mich an einen Haken in einem Raum, der von innen ganz gefliest war. Ärgerlich hing ich nun hier rum und schaute mich um.
„Aha!“, da waren ja noch ein paar Kollegen: Handtücher, Zahnbürsten eine Seife und ein Rasierapparat. „Hallo Leute, wie geht´s?“ rief ich. Doch keiner antwortete mir. Totenstille. Als ich mir die anderen genau ansah, sah ich, dass es ihnen wohl nicht besonders gut ging. Später sollte ich erfahren, warum dem so war. Eine alte Socke erzählte es mir, als sie neben mir auf der Wäscheleine hing und wir gemeinsam so vor uns hin trockneten. „Das Badezimmer ist wie ein Gefängnis!“ meinte sie. „Wenn du einmal da rein gekommen bist, dann kommst du so schnell nicht wieder raus.“ Ich erschrak und verlor kurzfristig meine schöne rote Farbe.
„Deine Kameraden sind schon so lange da drin, dass sie sich nichts mehr zu sagen haben.“ Jetzt wurde mir einiges klar. „Wo bin ich da rein geraten? Womit habe ich das verdient?“, dachte ich mir und ließ mich weiter von der schönen warmen Sonne trocknen. Und in der Tat, die Socke hatte Recht, das Leben im Badezimmer war schrecklich, schrecklich langweilig, immer dasselbe! Jeden Morgen riss mich so ein Piepswecker aus dem Schlaf, ein paar Minuten später knarrte die Badezimmertür. Dann ging das Wasser an, ich wurde nass gemacht und über ein unrasiertes Gesicht geschoben. Und das jeden Tag!
Piepsen - knarrende Tür - Wasser ...
Piepsen - knarrende Tür - Wasser ...
Piepsen - knarrende Tür - Wasser ...
„Ich muss hier raus!“, dachte ich. „Aber wie?“ Als ich das nächste Mal auf der Wäscheleine hing, kam so ein kleiner Köter angerannt, bellte, sprang wie ein Wilder herum und wollte nach mir schnappen. Hier sah ich meine Ausbruchschance und machte mich ganz, ganz lang. Und noch etwas länger. Endlich kam der Hund an mich ran, riss mich von der Leine und machte sich mit mir in der Schnauze aus dem Staub. Ich wollte mich bei meinem Retter ja nicht gleich beschweren, aber die Zähne hätte er sich ruhig putzen können. Nach einer Viertelstunde Dauerlauf durch Schifferstadt, ließ mein Retter mich dann am Südbahnhof einfach fallen.
Nun lag ich hier und war glücklich diesem Leben entkommen zu sein.
Die Welt lag mir zu Füßen und ich war ein freier Waschlappen.
Das alles war vor fünf Jahren.“
 

 

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